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Dienstag, 02. November 2021, Northeimer Neueste Nachrichten / Landkreis Northeim

INTERVIEW - Claus Hartmann zu seinem Abschied von der Schweinehaltung

VON NIKO MÖNKEMEYER

Kalefeld – Claus Hartmann, Vorsitzender des Landvolks Northeim-Osterode, hat entschieden, die Schweinehaltung auf seinem Hof aufzugeben. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten.

Herr Hartmann, in einigen Wochen wird das letzte Schwein Ihren Hof verlassen. Warum wollen Sie Ihre Ferkelaufzucht einstellen?

Mein Entschluss ist das Ergebnis eines schwierigen und schmerzhaften Entscheidungsprozesses. Immerhin endet damit nach 50 Jahren und drei Generationen die Schweinehaltung hier auf dem Hof. Aber es geht leider nicht anders. Derzeit lege ich bei jedem Ferkel, das ich verkaufe, etwa fünf bis sechs Euro dazu. Bei Kollegen, die Ferkel erzeugen oder Schweine mästen, ist der Verlust pro Tier noch deutlich größer.

Und eine Änderung ist nicht in Sicht?

Leider nicht. Dass die Preise für Schweine mal im Keller sind und man vorübergehend eine Durststrecke aushalten muss, ist für Schweinehalter nichts Neues. Diese Preisschwankungen hat es schon immer gegeben und sind Fachleuten unter dem Begriff Schweinezyklus bekannt. Im Moment befinden sich die Preise aber auf einem historischen Tiefststand, und es gibt keine Signale dafür, dass sich das in den nächsten Monaten ändern könnte. Das allein ist aber nicht der Grund für meine Entscheidung.

Sondern?

Die Tatsache, dass ich massiv in die Schweinehaltung investieren müsste, um den Ansprüchen der Gesellschaft an moderne Tierhaltung auch in Zukunft gerecht werden zu können. Dazu gehört zum Beispiel auch die Möglichkeit, Schweinen den Auslauf nach draußen zu gewähren.

Was hier im Ort wahrscheinlich nicht möglich wäre.

Genau. Bis zur nächsten Wohnbebauung sind es ungefähr 50 Meter. Da bekäme ich niemals die nötigen Genehmigungen, allerdings gab es bereits ein Vorhaben, das ich aber nicht in die Tat umgesetzt habe.

Wie sah denn dieses Vorhaben aus?

Als ich den Hof von meinen Eltern übernommen habe, haben wir noch Ferkel selbst produziert. Nicht nur hier in Kalefeld, sondern auch in einem gepachteten Stall in Echte. Wir hatten damals insgesamt 240 Zuchtsauen und ich habe mit dem Gedanken gespielt, groß auszubauen.

Wie groß?

Die Planung war, dass wir einen Stall für 600 Zuchtsauen bauen, und als 2010 der Mietvertrag auslief, stand ich vor der Frage: machen oder nicht machen? Heute bin ich froh, dass ich mich für Letzteres entschieden habe.

Weil die Verbraucher immer weniger bereit sind, angemessene Preise für Fleisch zu bezahlen?

Ich würde das nicht als Vorwurf formulieren. Schließlich sind wir ja alle Verbraucher und schauen, dass wir möglichst günstig einkaufen. Wenn die Gesellschaft höhere Ansprüche an die Tierhaltung stellt, müssen wir als Erzeuger das akzeptieren. Ein Unternehmer – und nichts anderes ist ein Landwirt – muss sich auf die Wünsche der Verbraucher einstellen, wenn er Geld verdienen möchte, denn der Kunde ist König. Das kann jedoch langfristig nur funktionieren, wenn wir Landwirte mit unseren Produkten auch tatsächlich etwas verdienen können. Ohne Entlohnung, oder sogar mit finanziellen Verlusten werden immer mehr Betriebe in Deutschland aus der Schweinehaltung aussteigen.

Was müsste passieren, damit Landwirte nicht gezwungen sind, solche Entscheidungen zu treffen?

Die Lebensmittel, die den Anforderungen der Gesellschaft entsprechend produziert wurden, müssen im Laden klar erkennbar sein und auch gekauft werden. Je mehr importierte Produkte angeboten und gekauft werden, die günstiger sind und unsere Standards unterlaufen, desto stärker wird der Druck auf die heimischen Erzeuger.

Aber der Wandel, den wir jetzt erleben, wird sich wohl nicht aufhalten lassen, oder?

Nein, und wir Landwirte sind ja auch bereit, Veränderungen mitzugehen. Strukturwandel gibt es in der Landwirtschaft schon lange, und im Grunde ist es nicht schlimm, dass sich der Beruf ständig wandelt. Dass mein Großvater Ende der 1960er-Jahre die Milchviehwirtschaft zugunsten der Schweinehaltung aufgegeben hat, hat sich im Rückblick als richtig erwiesen. Auch als meine Eltern 1984 den Hof übernommen haben und sich auf die Ferkel konzentriert haben, war das richtig, ebenso wie meine Entscheidung 2013, auf die Zucht zu verzichten und nur noch Ferkelaufzucht zu betreiben.

Wird sich Ihre aktuelle Entscheidung im Rückblick auch als richtig erweisen?

Da bin ich mir ganz sicher, auch wenn sich das Gefühl der Erleichterung im Moment noch nicht so richtig einstellen will. Derzeit überwiegen noch die Niedergeschlagenheit und Selbstzweifel.

Inwiefern haben Sie Selbstzweifel?

Ich stelle mir natürlich die Frage, ob die Aufgabe der Schweinehaltung nach drei Generationen voller Tatendrang, Engagement und Risiko, nach vielen Entbehrungen und noch mehr eingesetzter Lebenszeit nicht ein Eingeständnis des persönlichen Scheiterns ist. Ich frage mich auch, ob ich durch die Entscheidung das Lebenswerk meiner Eltern und Großeltern jetzt zerstöre und möglicherweise einem Nachfolger die unternehmerische Perspektive nehme – kurz gesagt, ob ich als Betriebsleiter versagt habe?

Und haben Sie schon eine Antwort gefunden?

Mittlerweile bin ich immer mehr zu der Erkenntnis gelangt, dass ich mir keine Vorwürfe machen muss. Aber es hat trotzdem nicht gereicht, und das macht die Sache ja nicht einfacher. Mir geht es wie vielen Berufskollegen, die jetzt darüber nachdenken, sich neu zu strukturieren oder sogar komplett aufzugeben. Viele sehen sich einfach außerstande, die künftig geltenden Auflagen für die Haltung von Tieren zu erfüllen, weil dafür Investitionen notwendig sind, die mit einem großen Risiko verbunden sind und sich möglicherweise schon in wenigen Jahren nicht mehr rechnen.

Viele Bauern haben erfolgreich mit einer neuen Ausrichtung auf die Entwicklung reagiert. Stichworte wären da Hühnermobile oder Direktvermarktung. Ist das die Zukunft für die Landwirtschaft?

Diese neuen Möglichkeiten haben ihre Grenzen, denn die Betriebe, die sich dafür entschieden haben, können ja nur in einer ganz bestimmten Nische überleben. Und Nischen haben es ja nun mal so an sich, dass da längst nicht alle unterkommen. Insofern kann das zwar die Lösung für den einen oder anderen Betrieb sein, aber sicher nicht für die Masse.

Den Landwirten wurde ja in den vergangenen Jahren immer empfohlen, möglichst zu wachsen, um auf dem Markt noch erfolgreich sein zu können. Gibt es da mittlerweile ein Umdenken?

Mit dem letzten Schwein, das meinen Hof verlässt, verlässt mich auch der Glaube, dass der Markt allein gute und engagierte Produzenten schützen kann. Dafür braucht es auch die Unterstützung der Gesellschaft, deren Ansprüchen wir gerecht werden möchten.

Und wie sieht die Zukunft Ihres Hofes aus? Was werden Sie machen, wenn Ihr Schweinestall demnächst leer steht?

Ich arbeite schon seit mehreren Jahren mit Kollegen zusammen, damit wir uns die Kosten für die Bewirtschaftung unserer Flächen teilen können. Und in diese Richtung werde ich jetzt versuchen, meinen Betrieb weiterzuentwickeln.